Die Honig­tau­erzeuger

In der Literatur wird eine sehr große Zahl von Honig­tau­erzeu­gern genannt, bei denen Bienen­flug beo­bachtet worden ist. Doch die Fest­stellung, dass der ausge­schie­dene Honigtau von Bienen gesammelt wird, reicht als Maßstab für die bienen­wirt­schaft­liche Bedeu­tung des betreffenden Erzeu­gers nicht aus. Für diese Beur­teilung ist ent­schei­dend, ob er eine Tracht verur­sachen kann, die zu einem derart hohen Eintrag von Honig­tau durch Bienen­völker führt, dass die Schleu­derung eines ent­spre­chenden Sorten­honigs möglich ist. Diese Bedingung wird von den wenigsten Laus­arten erfüllt; denn eine Massen­tracht von einem Honig­tau­er­zeuger kann es nur geben, wenn

  1. ihre Wirtspflanze in großer Zahl im Flug­kreis des Bienen­volkes vorkommt und
  2. der Honig­tau­er­zeuger wenigs­tens ab und zu in solchen Massen auftritt, dass
  3. große Honig­tau­mengen anfallen.
Bei den Waldbäumen Buche, Kiefer und Doug­lasie ist die zuerst genannte Vor­­­­aus­­­set­­zung vieler­­­­­orts erfüllt, doch kommt es bei den auf ihnen lebenden Honig­­­­­­tauer­­­­­­­zeu­­­­­­­­gern selten oder nie zu einer Massen­ver­mehrung. Bei anderen Bäumen ist es umge­kehrt. So sind Birken, Weiden, Eichen, Erlen und Eschen häufig sehr stark von Honig­tau­erzeu­gern befallen und werden auch intensiv von Bienen beflogen, doch ist die Anzahl der Bäume im Umkreis eines Bienen­standes so gering, dass anhal­tend hohe Zunahmen allein aus dieser Tracht nicht zustande kommen.
Auf der Tanne kann der aufmerk­same Beobachter im Laufe eines Jahres vier verschie­dene Honig­tau­er­zeuger ent­decken, von denen bisher nur zwei, die Grüne Tannen­honig­laus und die Große Schwarz­braune Tannen­rinden­laus, auch die zweite und dritte Vor­aus­set­zung erfüllen. Honig­tau­aus­schei­dung und Bienen­be­flug können regel­mäßig auch bei den beiden anderen auf der Tanne lebenden Laus­arten, der Tannen­napf­schild­laus und der Weiss­tannen­trieb­laus beo­bachtet werden. Doch kommt es bei der Tannen­napf­schild­laus nie oder äußerst selten zu einem Massen­befall. Die Weiss­tannen­trieb­laus tritt zwar häufig, besonders an sehr warmen Stand­orten, in großer Zahl auf, doch ist die Massen­ver­mehrung meistens auf die frühe Zeit des Austriebes begrenzt. Auch bei starkem Befall fällt nur eine beschei­dene Honig­tau­menge an.
Auf der Fichte leben zwei Schild­laus­arten und fünf Rinden­laus­arten, die in der Literatur hin­sicht­lich ihrer Bedeu­tung für die Bienen­haltung nicht einheit­lich bewertet werden. So schreiben viele Beobachter der Kleinen Fichten­quirl­schild­laus eine über­ragende Bedeu­tung zu. Diese Ansicht können wir nicht teilen. Während einer von 1987 bis 1998 durch­ge­führten Unter­suchung der Wald­tracht in den Hoch­lagen des Südlichen Schwarz­waldes kam es in sechs Jahren zu einer Fichten­tracht, an der immer nur Fichten­lach­niden beteiligt waren. Die Popu­lations­­dichte der Kleinen Fichten­quirl­­schild­­­laus war in keinem Jahr hoch genug, um für eine Lecanien­tracht zu sorgen, obwohl die für die Unter­suchung 1986 aus­ge­wählten Stand­orte von „erfah­renen“ Wald­tracht­imkern als Lecanien­stand­orte empfohlen worden waren. Nach zwölf Jahren war die Kleine Fichten­quirl­schild­laus erstmals 1998 in sehr beschei­denen Umfang an der Honig­tau­tracht beteiligt.
Andere Erfahrungen machte die Ober­pfälzer Tracht­beo­bachter­gruppe, die in den vergan­genen Jahren mehrmals Lecanien­tracht im Ober­pfälzer Wald, im Thüringer Wald und im Erz­ge­birge nutzen konnte. Viel­leicht gibt es geogra­phische und auch regionale Unter­schiede. Das könnte auch für die Beurteilung der bienen­wirt­schaft­lichen Bedeutung der Lach­niden­arten auf Fichte und Tanne gelten.
Alle auf der Fichte lebenden Lachniden­arten bilden Kolonien, wodurch ihre Beobach­tung und die Erfassung ihrer Popu­lations­dichte erheb­lich erschwert wird. Das gilt besonders für die ver­steckt siedelnden Arten. Es könnte sein, dass sie auch dann, wenn sie erheb­lich zu der Entstehung einer Honig­tau­tracht beitragen, manchem Imker nicht auf­fallen, besonders, wenn sie gleich­zeitig mit anderen Honig­tau­er­zeugern auftreten, die leichter zu finden sind. Sehr schwer zu beur­tei­lende Arten sind die Große Schwarze Fichten­rinden­laus und ihre „Schwester“ auf der Weiß­tanne, die Große Schwarz­braune Tannen­rinden­laus, die Stark bemehlte Fichten­rinden­laus, die Grün­ge­streifte Fichten­rinden­laus und die Grau­grün gescheckte Fichten­rinden­laus. Bei diesen Arten gibt es keine Methoden, mit denen die Popula­tions­dichte exakt gemessen werden kann. Dieses Problem besteht auch, wenn auch weniger stark, bei dem mit Abstand wich­tigsten Honig­tau­er­zeuger auf der Fichte, der Rot­braunen Bepu­derten Fichten­rinden­laus.

Autor: Dr. Gerhard Liebig, 2003